

TikTok-Studie: Digitale Handlungsfähigkeit junger Menschen stärken
Wie können junge Menschen ihre Handlungsfähigkeit im Umgang mit algorithmischen Plattformen stärken? Die neue #UseTheNews-Studie zu TikTok des Leibniz-Instituts für Medienforschung formuliert sechs Handlungsempfehlungen – von Datenschutz-Aufklärung, Förderung selbstbestimmter Mediennutzung bis zu TikTok als Distributionskanal.
Über die Hälfte der 12- bis 19-Jährigen in Deutschland nutzt laut einer Studie des SWR die Kurzvideoplattform TikTok mindestens wöchentlich. Dabei konsumieren sie hauptsächlich Videos auf ihrer personalisierten For-You-page (FYP) und kommen so mit dem algorithmischen Empfehlungssystem (AES) der Plattform in Kontakt. Was wissen sie über diesen Mechanismus und wie interagieren sie damit? Diesen Fragen ist die #UseTheNews-Studie zu TikTok vom Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut (HBI) nachgegangen.
Die Kernergebnisse zeigen: Zwar haben die Befragten ein deutliches Bewusstsein für das AES und viele erkennen, dass verschiedene Faktoren ihre FYP beeinflussen. Allerdings gibt es gerade beim Thema Datensammlung und -verarbeitung ein geringes Problembewusstsein. Häufig fehlen sowohl das Wissen als auch die Motivation, Einstellungen zu Datenschutz oder Personalisierung aktiv zu verändern.
Hinzu kommt, dass Emotionen im Umgang mit TikTok eine wichtige Rolle spielen. Die meisten Teilnehmenden bringen „ihrem Algorithmus" Wertschätzung entgegen, doch unpassende Videos oder starke Wiederholungen können auch Gefühle wie Genervtheit oder Kontrollverlust auslösen.
Wenige suchen aktiv nach politischen Themen und Nachrichten
Bei der Rolle von TikTok für politische Inhalte zeigt sich ein klarer Unterschied zwischen passivem Konsum („was mir angezeigt wird") und aktiver Informationssuche („ich informiere mich gezielt"). Nur wenige Teilnehmende haben im Vorfeld der Bundestagswahl 2025 aktiv nach politischen Themen gesucht oder sind entsprechenden Accounts gefolgt.
Insgesamt bleibt die Nutzung politischer oder nachrichtenbezogener Inhalte ambivalent. Skepsis entsteht vor allem aufgrund des Plattformimages und der Sorge vor Falschinformationen, ein Thema, das bei jungen Zielgruppen besonders präsent ist.
Handlungsempfehlungen für die Praxis
Aus diesen Ergebnissen können verschiedene Handlungsempfehlungen abgeleitet werden:
- Positive Teilhabeaspekte von Social-Media-Plattformen sollten berücksichtigt und gefestigt werden.
Die Ergebnisse der Studie machen deutlich, dass Social-Media-Plattformen wie TikTok jungen Menschen politische und soziale Teilhabe ermöglichen. Die Plattform bietet einen Ort für Kommunikation, soziale Interaktion und Inspiration und erfüllt damit wichtige Bedürfnisse Jugendlicher und junger Erwachsener. - Eine große Heterogenität unter jungen Menschen hinsichtlich ihres Wissens erfordert altersspezifische Förderansätze.
Während die befragten Jugendlichen über gutes praktisches Erfahrungswissen verfügen, aber kaum über strukturelles oder technisches Wissen zu algorithmischen Prozessen, zeigen junge Erwachsene bereits kritisch-reflektiertes Wissen, das aber fragmentarisch bleibt. Diese altersbezogenen Unterschiede sollten gezielt adressiert werden: durch Stärkung des systemischen Verständnisses, Förderung von Handlungskompetenz im Umgang mit und der Steuerung von algorithmischen Prozessen sowie durch Vermittlung einer kritischen Diskursfähigkeit bei der Einordnung von Inhalten auf der For-You-Page. - Wissensdefizite beim Thema Datenschutz unterstreichen Bedarfe nach Aufklärung und Befähigung.
Auffallend ist, dass alle Befragten geringe Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes bei TikTok haben. Den meisten fehlt das Wissen darüber, inwiefern TikTok personenbezogene Daten sammelt, auswertet und verarbeitet. Zudem ist das Problembewusstsein hinsichtlich der Preisgabe und Analyse der eigenen Daten sehr gering ausgeprägt. Entsprechend scheint es wichtig, diese Aspekte altersübergreifend und affektiv zu thematisieren, um das Agency-Gefühl der Nutzenden zu stärken. - Kontrollverlust und Machtlosigkeit verlangen nach Aufklärung und Unterstützung selbstbestimmter Mediennutzung.
Ein wichtiger Befund bezieht sich auf die kollektive Erfahrung des sogenannten „dissoziativen Zustandes" und daran anschließende Versuche der Selbstregulierung. Dissoziative Zustände sind mit negativen Emotionen wie Kontrollverlust, Machtlosigkeit und Zeitverschwendung verknüpft und liefern Hinweise auf eine problematische Nutzung von TikTok. Zwar wurden von einem Großteil der Befragten bereits regulative Maßnahmen eingesetzt, jedoch bleiben diese Versuche meist erfolglos und es besteht der Wunsch nach einem „Realitäts-Check". Aufbauend auf die Vermittlung von Wissen zu Dark Pattern können in partizipativen Formaten kreative Regulierungsmaßnahmen entwickelt werden, die junge Menschen bei einer selbstbestimmten Mediennutzung unterstützen. - Stärkung der individuellen Handlungsfähigkeit und digitalen Souveränität.
Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass junge Menschen zunehmend ein Bewusstsein für die ambivalente Natur algorithmischer Plattformen entwickeln, es dabei aber eine starke Wahrnehmungsverzerrung gibt. TikTok wird gleichzeitig als individuell bereichernd und sozial riskant wahrgenommen. Risiken werden häufig nur auf andere projiziert und nicht auf sich selbst bezogen. Diese Ambivalenz verdeutlicht, dass digitale Mündigkeit nicht allein durch Wissen, sondern durch kritische Distanz und Urteilsfähigkeit entsteht. Eine zeitgemäße Förderung algorithmischer Kompetenz muss daher sowohl Schutz- als auch Emanzipationsziele verfolgen. Junge Menschen sollen nicht nur Risiken erkennen, sondern auch ihre digitale Handlungsfähigkeit innerhalb algorithmischer Strukturen selbstbestimmt gestalten. - TikTok als Distributionskanal sollte durchdacht und zielgruppenspezifisch genutzt werden.
TikTok wird von den meisten Teilnehmenden zwar nicht primär für aktive Informationsprozesse genutzt. Dennoch hat die Plattform das Potenzial, gerade bei besonderen Ereignislagen oder politischen Großereignissen, den ersten Kontakt mit politischen Informationen herzustellen und Aufmerksamkeit zu generieren. Das sollte mitbedacht werden und für Medienhäuser scheint es ratsam, zielgruppenspezifische Themen plattformspezifisch aufzubereiten und einen klaren Unterhaltungs- und/oder Informationswert zu bieten.