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Online-Undercover-Recherche: Fünf Dinge, die du beachten solltest

Aus der Community für junge Medieninteressierte: NewZee Elisabeth Ehrensberger berichtet über das Treffen mit Isabell Beer, Investigativjournalistin im Recherche-Team von funk.

2022-06-09 — Elisabeth Ehrensberger

Isabell Beer ist Investigativjournalistin und arbeitet im Recherche-Team von funk. Sie hat bereits einige Online-Undercover-Recherchen durchgeführt, zum Beispiel in einer Incel-Community. Incels sind heterosexuelle Männer, die ungewollt zölibatär leben und eine (extreme) Abneigung gegenüber Frauen hegen. Bei unserem NewZee-Treffen im Mai gab die Journalistin den Mitgliedern der Community Einblicke in ihre Arbeit. Eines ist klar: Der Schlüssel zur erfolgreichen Undercover-Recherche ist die richtige Vorbereitung. Diese kann auch mal ein Jahr dauern, denn es gibt viele Dinge zu beachten:

1. Der Pressekodex

 

Journalist:innen folgen grundsätzlich den ethischen Standards und Richtlinien des Pressekodex. Dabei ist Transparenz und Offenheit jedes Journalisten und jeder Journalistin Gesetz. Ohne diese Grundlage ist eine verdeckte Recherche nur schwer möglich, da sich die Journalist:innen erst am Ende erkennbar geben. Deswegen steht zu Beginn einer jeden Recherche die Frage: Ist die Undercover-Recherche überhaupt nötig und sind die Informationen von besonderem öffentlichen Interesse? Nur bei einem klaren „Ja“ ist diese auch gerechtfertigt. 


Isabell Beer betont hier ausdrücklich, dass „verdeckte Recherchen nur im Einzelfall berechtigt (sind)“ – nämlich, wenn Informationen nicht öffentlich zugänglich sind und auf keinem anderen Weg erlangt werden könnten.

2. Die Kernfrage

 

Das Wichtigste am Anfang jeder investigativen Recherche ist die Kernfrage. Diese ist der Kompass während jeder verdeckten Suche und gibt die Richtung an. In Situationen, in denen unklar ist, wie weiter vorgegangen werden soll, bietet die Kernfrage oft die entscheidende Antwort.

3. Die passende Rolle

 

Journalist:innen verkörpern oft monatelang eine Person, die es in der Realität gar nicht gibt. Deswegen muss diese Rolle gründlich durchdacht sein. Jeder kleinste Fehler kann das Auffliegen der Recherche riskieren. Isabell Beer empfiehlt, dass die ausgedachte Person einem selbst in irgendeiner Art ähnlich ist, sodass man einen Anhaltspunkt hat und nicht in Situationen kommt, in denen man keine Antwort weiß. Beispielsweise sollte man den angegebenen Wohnort kennen, damit Missverständnisse mit Usern, die mit dem Ort verwandt sind, verhindert werden.

 

Zudem ist es wichtig, die Schreibweise in Chats immer gleich zu halten: Welche Emojis benutzt die Rolle? Schreibt sie vielleicht immer nur klein? Am Anfang kann es hilfreich sein, zu fragen: Wie würde der Tag dieser Person aussehen? Dabei ist die Observierung der anderen User und deren Eigenschaften sehr wichtig, um sein eigenes Profil glaubwürdiger zu machen und sich anzupassen. Denn, wie Beer betont: „Man muss einer von ihnen werden.“

„Man muss einer von ihnen werden.“ (Isabell Beer)

4. Der kompromisslose Selbstschutz

 

Die eigene Sicherheit steht bei einer Recherche an erster Stelle – und das ohne Kompromisse. Direkt am Anfang ist es wichtig, Grenzen zu setzen und diese einzuhalten. Es muss immer klar sein: Die Rolle, in die man schlüpft, ist nur eine Rolle und nicht die eigene Person. 


Journalist:innen verkörpern über Monate hinweg eine andere Person und begeben sich in Communities, die psychisch belastbar sein können. Zu schnell entsteht die Gefahr, von dem Sog der Community mitgerissen zu werden. Da das Reden über die Recherche mit Personen außerhalb der Redaktion die Recherche gefährdet, leidet oft das Privatleben der Journalist:innen. Die Möglichkeit auf kurzfristige psychologische Hilfe muss deswegen vor Beginn der Recherche unbedingt sichergestellt werden, damit sich Journalist:innen immer an eine Ansprechperson wenden können. Auch der Austausch mit der Redaktion ist sehr hilfreich und wichtig.

 

Isabell Beer erzählt, sie hätte angefangen, Rituale einzuführen, die ihr dabei geholfen hätten, mit der psychischen Belastung umzugehen. Laut ihr hilft es bereits zum Beispiel, nicht direkt nach der Ermittlung schlafen zu gehen, sondern zuerst die Emotionen zu sortieren. Zusätzlich sollte in Phasen, in denen die Recherche sehr intensiv ist, der Kontakt zu Freunden immer aktiv aufgesucht werden. Generell sollte auf keinen Fall das eigene Sozialleben vernachlässigt werden. Kurz gesagt: Es ist sehr wichtig, sich selbst während der ganzen Zeit im Blick zu haben.

5. Eine gute Rechtsabteilung

 

Eine gut aufgestellte Rechtsabteilung ist essenziell für eine investigative Recherche, denn es kann schnell vorkommen, dass sich Journalist:innen unbewusst strafbar machen. Deswegen ist es wichtig, dass Medienschaffende sich der Rechtslage bewusst sind und wissen, was während der Recherche erlaubt ist. Dies betrifft zum Beispiel Fragen wie: Als wer darf ich mich ausgeben oder was darf ich über mich behaupten?

 

Zudem muss vorher klar sein, in welchem Fall Journalist:innen die Polizei einschalten müssen. Denn das geschieht auch über die Rechtsabteilung, da sonst die persönliche Adresse der Journalist:innen veröffentlicht werden könnte und deren Sicherheit gefährdet wäre. Dabei sollte aber auch immer klar sein: „Journalisten sind nicht der verlängerte Arm der Ermittlungsbehörden“, so Isabell Beer.

6. Ein passendes Ende

 

Schlussendlich gilt: jede Undercover-Recherche muss auch ein Ende finden. Beer erklärt: „Es kommt der Punkt, wo man sagen muss: Es reicht dann aus“. Vor der Veröffentlichung von Rechercheergebnissen steht in der Regel noch die Konfrontation der wichtigsten User an. Diese Konfrontation kann auch persönlich geschehen, sollte aber immer gut vorbereitet sein. Außerdem muss sichergestellt werden, dass persönliche Informationen über die Journalist:innen nirgendwo öffentlich aufzufinden sind, denn das kann die eigene Sicherheit gefährden. Deswegen sollten private Instagram-Accounts nie öffentlich sein und auch das Geburtsdatum muss streng privat gehalten werden.

 

Zusammengefasst: Investigativjournalismus in Form von Online-Undercover-Recherche kann sehr spannende und aufschlussreiche Einblicke in Online-Communities offenbaren. Dadurch stellt diese Rechercheform eine unverzichtbare Art des Journalismus dar. Gleichzeitig gilt es aber auch einiges zu beachten sowie vorbereitet und vorsichtig vorzugehen, da dieses Vorhaben andernfalls an vielen Stellen schief gehen kann.