Wie TikTok einem politischen Bildungsauftrag gerecht werden kann
Aus der Community für junge Medieninteressierte: NewZee Anna Ross berichtet in ihrem Beitrag über den Workshop mit Redakteurin und TikTokerin Amelie Marie Weber und fasst die wichtigsten Fakten rund um TikTok zusammen.
Ich hatte kein TikTok. Ich wollte auch nie TikTok. Jetzt habe ich TikTok. Auch wenn sich die Social Media Plattform in dieser Formulierung eher wie eine Krankheit anhört, bin ich inzwischen der festen Überzeugung, dass wir TikTok brauchen.
Mit „wir“ meine ich „wir Journalist:innen“. Denn als Journalist:innen haben wir die wichtige Aufgabe, der Gesellschaft mithilfe unserer Berichterstattung die Möglichkeit der offenen Meinungsbildung zu bieten. Und zwar für alle Generationen. Die Redakteurin und TikTokerin Amelie Marie Weber zeigt mit ihrer Arbeit, wie sich die Generation Z erreichen lässt. Durch die Gründung des TikTok-Kanals “duhastdiewahl“ hat sie eine Plattform geschaffen, auf der locker, witzig und faktenbasiert über Politik gesprochen werden kann. Unter dem Hashtag #lernenmittiktok ist es Amelie gelungen, Bildung und Unterhaltung erfolgreich zu vereinen. Mit Maracuja-Saft in der Hand erklärt sie die Jamaika-Koalition, anhand von Emojis erläutert sie die Aufgaben der Ausschüsse des Bundestages und in einem Blitz-Interview fragt sie Christian Lindner, ob er Cannabis legalisieren würde.
In unserem ersten #UseTheNews-Workshop am 25.01.2022 konnten wir NewZees die Journalistin persönlich kennenlernen. Zu Beginn hat uns Amelie in einem kurzen Vortrag die wichtigsten Fakten rund um TikTok gegeben und ein paar Beispiele aus ihrem eigenen Account (“duhastdiewahl“) gezeigt. Dabei sind mir vor allem drei Punkte im Kopf geblieben:
1. Rund ein Drittel der TikTok-User:innen nutzt kein Instagram mehr
Krass. Wer als Medienunternehmen also sagt, man würde den Großteil der Generation Z allein über Instagram einbinden, liegt nicht ganz richtig. Fakt ist nämlich, dass viele junge Menschen gar kein Instagram mehr haben und man sie eben nur bei TikTok erreicht. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass TikTok eine so große Konkurrenz für Instagram ist.
2. Der TikTok-Algorithmus funktioniert anders als der Instagram-Algorithmus
Das wusste ich auch nicht. Im Gegensatz zu Instagram wird den User:innen auf TikTok nicht primär der Content von Freunden oder Bekannten angezeigt. Es werden vielmehr jene Videos als relevant eingestuft, die von vielen User:innen zum Beispiel komplett bis zum Ende angeschaut wurden und den eigenen Interessen entsprechen. Und auch wenn man wie Amelie viel über den Algorithmus weiß, heißt es nicht, dass jedes Video viral geht: „Manchmal macht der Algorithmus gefühlt sein `eigenes Ding` und ist undurchschaubar - was deprimierend ist!“
3. Informative TikTok-Videos brauchen ein gut durchdachtes Konzept, um erfolgreich zu werden
Es gibt ein paar Faktoren, die ein informatives TikTok-Video beinhalten sollte, um eine große Reichweite zu generieren. Das Video sollte beispielsweise mit einem Eyecatcher beginnen, der die User:innen vor dem Weiterscrollen hindert. Es sollte die Thematik so einfach wie möglich erklären und, wenn nötig, Begriffe definieren. Und das Video sollte keine unnötigen Nebensätze beinhalten, damit es eine Länge von maximal 60 Sekunden nicht überschreitet.
Das Thema “Konzeption“ war ein großer Bestandteil des Workshops. Wer sich einmal die Videos auf “duhastdiewahl“ anschaut, der merkt direkt: Hier wird mit allen Mitteln gearbeitet. Mal unterhält sich Amelie in einem Rollenspiel mit sich selbst und stellt damit den Interviewenden und den Interviewten dar. Mal geht sie mit einem TikTok- Trend mit, zeigt mit dem Finger in die Luft und lässt dort einen Text erscheinen. Und manchmal verweist sie in einem Video auf ein anderes, um beispielsweise Begriffsdefinitionen abzudecken. Im Vordergrund steht in jedem Fall der Lerneffekt, der durch gestalterische Mittel unterstützt wird. Dabei verwendet Amelie von Soundeffekten über Filter und Worteinblendungen bis Emojis alles, was die Videobearbeitung so hergibt.
Auf dieser Grundlage kam für uns NewZees dann der interaktive Teil. Wir sollten nun selbst einen Drehplan zu einem TikTok-Video schreiben. Das Thema? Frauenquote. Da Amelie in Zukunft ohnehin ein Video dazu produzieren wollte, konnten wir ihr beim Brainstormen und Konzeptionieren helfen. Die Vorstellung, die eigenen Ideen in ihrem Video wiederfinden zu können, war für uns NewZees natürlich eine große Motivation.
Wir wurden also in Gruppen und Breakout-Sessions eingeteilt und erhielten einen unausgefüllten Drehplan. Meine Gruppe versuchte in erster Linie einen coolen und spannenden Einstieg zu finden, der die User:innen an das Video bindet. Inhaltlich hatten wir schnell einen roten Faden, den wir grob runterschreiben konnten. Als es jedoch um die Zeitangaben ging, waren wir uns unsicher. Wie lange braucht man, um „Die Frauenquote ist ein Gesetz, welches 2015 vom Bundestag beschlossen wurde“ auszusprechen? Vier Sekunden? Und wie lange ist die Sequenz, wenn wir jetzt noch ein “2015“-Textfeld mit Soundeffekt einblenden? Gleich lang oder zwei Sekunden länger? Sind sechs Sekunden zu lang? Sollten wir dann vielleicht eher den Satz kürzen? Fragen, die wir in unserer Gruppe nicht ganz einstimmig beantworten konnten. Aber auch Fragen, die uns aufgezeigt haben, wie aufwendig ein so kurzes, erklärendes, faktenbasiertes, zugleich lockeres Video sein kann.
Nach der Gruppenarbeit folgte die Präsentation der jeweiligen Ergebnisse. Auffallend war: Im stilistischen Teil gab es viele Übereinstimmungen. Alle hatten einen Eyecatcher zu Beginn des Videos, Textelemente und Soundeffekte und zum Teil eine schauspielerische Art und Weise der Erklärung. Beim inhaltlichen Teil gab es hingegen eine große Vielfalt an Ideen. Die eine Gruppe startete direkt mit dem Jahr des Beschlusses der Frauenquote, während eine andere Gruppe das Wort “Quote“ definieren wollte. Die einen haben die Vor- und Nachteile der Frauenquote in den Vordergrund gestellt, die anderen die bisherigen Erkenntnisse und Ergebnisse der Gesetzgebung.
Dabei wurden Fragen in den Raum gestellt, die es zu diskutieren galt. Was muss definiert werden und was ist selbsterklärend? Welche Informationen sind zu diesem Thema unentbehrlich und was kann gekürzt werden? Und wie formuliert man faktisch richtig aber nicht zu kompliziert? Amelie konnte uns zu alldem zwei gute Ratschläge mitgeben. Zum einen sollte man damit beginnen, die wichtigsten faktenbasierten Informationen runterzuschreiben. Danach können Sätze gekürzt und Informationen gebündelt werden. Ganz nach dem Motto: Schreibe so lang wie nötig und so kurz wie möglich. Zum anderen sollte man immer davon ausgehen, dass einige User:innen über kein ausgeprägtes Allgemeinwissen verfügen. Daher ist es meist von Vorteil, mit der Definition von Begrifflichkeiten zu beginnen. Wer nun wissen möchte, wie das fertige TikTok-Video zum Thema Frauenquote aussieht, kann es sich gerne unter diesem Link anschauen.
Dieses Online-Meeting mit Amelie hat uns NewZees nicht nur unglaublich viel Spaß gemacht, es hat uns auch einen internen Blick auf die Arbeit mit TikTok gegeben, welchen wir keinesfalls missen möchten. Wir haben gelernt, dass TikTok dem Journalismus und der Nachrichtenkultur als Plattform dienen kann, die vor allem die Generation Z anspricht. Denn TikTok kann mit der schnelllebigen Zeit mitgehen und trotz der oberflächlichen Swipe-Kultur die User:innen mit den richtigen Mitteln zum Konsumieren von politischen Themen animieren. Und vor allem haben wir gelernt, dass TikTok Unterhaltung und Bildung erfolgreich vereinen kann.
Ich hatte kein TikTok. Jetzt habe ich TikTok. Und ich bin der festen Überzeugung, dass wir TikTok brauchen.